Es war einmal ein böser Wolf. So würde dieses Märchen wohl beginnen, wäre es denn ein ganz gewöhnliches Märchen. Nun, ich muss euch aber leider enttäuschen, denn Folgendes ist mit Sicherheit alles, nur nicht gewöhnlich, denn Traditionen gelten hier nicht. Und besondere Geschichten verdienen besondere Anfänge. Also hat dieses Märchen, obgleich es eigentlich wie bekannt beginnt, doch einen Anfang verdient, der sich abhebt. Zu der Zeit des Tages, an der die Sonne sich zu Bett legt und die Sterne kichernd und blitzend aus ihren Verstecken kriechen und die Welt mit Schatten und Glitzer bedecken. Zu dieser Zeit, in der das Licht sich wandelt und seine Farbe abgibt, um dem Auge Ruhe zu gönnen. Zu dieser Zeit, in der die Menschen dem Tag Lebewohl sagen und ihre Träume sie begrüßen und in der alle schlafen.
Zu genau dieser Zeit waren Zwei wach.
Die Erste saß in einer kleinen Holzhütte mitten im Wald am Fenster und beobachtete den Schnee, der draußen sein tollkühnes Spiel spielte und dem Wind Konkurrenz machen wollte. Die lauten Kinderstimmen, die man hier sonst den ganzen Tag über hörte, waren verschallt und dem leisen Atmen gewichen, das die Frau sonst wie ein Wiegenlied in den Schlaf trieb. Es war Hunger, ein wildes Tier, der sie wach hielt. In den letzten Wochen war das leere Gefühl in ihrem Magen ihr zum Freund geworden, ein ständiger Begleiter, den man nicht abschütteln konnte und den man also akzeptieren musste.
Mit dem Schnee zog ihr Leben an der Frau vorbei. Ihre Kindheit war kalt und hart gewesen. Ihr Vater und ihre Mutter hatten sie schon immer als das schwarze Schaf der Familie gesehen. Und ihr Leben jetzt? Das hier hatte sie nie gewollt. Ihr Mann, der Holzfäller, hatte ihr Wohlstand versprochen und ihr Liebe geschenkt und so war die Frau auf ihr dummes Herz hereingefallen und hatte diesen Mann geheiratet und mit ihm auch seine zwei Kinder.
Und nun? Wohlstand war ihr nie das Wichtigste gewesen, aber trotzdem hätte sie sich gewünscht, ein sicheres Abendessen zu haben und nicht um zusätzliches Brot beim Bäcker betteln zu müssen. Die Kinder waren jung und wenn man nicht aufpasste, aßen sie einem die Haare vom Kopf. Und ihr Mann brauchte das Essen, das sie hatten, um seiner Arbeit nachgehen zu können und mit dem verdienten Geld des Tages das nächste Stück Brot für den nächsten Tag zu finanzieren. 5 Jahre ging das nun schon so, wieder und wieder. Tag für Tag. Und langsam wurde es der Frau zu mühselig. Sie hatte weder Liebe noch Sicherheit. Einmal ganz abgesehen von Wohlstand. Und so hatte die Zeit die Frau verbittern lassen. Während ihre Haut langsam schlaffer wurde und die jugendliche Röte im Gesicht der grauen Farbe des Alters wich, während ihre Gebrechen nur mehr und mehr und ihre Haare immer matter wurden, währenddessen war das Herz der Frau kalt geworden und ihr Gemüt stumpf und müde.
Immer öfter kam es vor, dass die Kleinen zusammenschreckten, wenn sie ihnen ihre Anweisungen zu rau gab. „Ja, Frau Stiefmutter“, sagte der älteste Bube dann höflich und man konnte die Angst spüren, wenn sich seine kleine Schwester unauffällig, aber doch merklich hinter ihn schob. Und wenn ihr Mann abends nach Hause kam, dann wurde sie still, sprach nichts mehr, in der Angst etwas Falsches zu sagen. Denn so liebevoll der Holzfäller zu seinen Kindern war, so abweisend wurde er ihr gegenüber. Und sie war die Stiefmutter geworden.
Die Nacht schritt voran und mit der Kerze in der Hand schritt die Frau vor den Spiegel und erschrak, als sie sich darin erkannte. Die Nacht ließ die Wangenknochen in ihrem mageren Gesicht hart heraustreten. Sie sah böse aus. Wie man sich eine alte Hexe vorstellte. Die Frau berührte mit der Fingerspitze den Spiegel dort, wo sie ihr Gesicht sah, und die Kälte der Oberfläche übertrug sich auf das zittrige Körperteil. Und in diesem Moment hätte die Frau am liebsten geweint, wäre sie nicht so kalt geworden. Sie traf ihre Entscheidung. Wenn ihr Mann am Morgen aufwachen würde, dann wäre das Bett kalt. Und an diesem Abend würde zum Abendbrot jeder satt werden, sie würden lachen und wären glücklich. Der Zweite, der wach war, lag in seiner Höhle, die Vorderpfoten in den Schnee gestreckt und den Kopf auf den Beinen abgelegt. Vor ihm im Schnee drei Tropfen Blut von seiner letzten Mahlzeit.
Das Lämmchen war schon halbtot gewesen, als er es gefunden hatte, völlig erfroren und mit verletztem Beinchen. Der Zweibeiner, der sonst mit seinem Hund ein wachsames Auge auf jedes Tier der Herde hatte, war unachtsam gewesen und das Lämmchen war zurückgeblieben.
Der Wolf hatte schon zwei Tage nichts mehr gefressen und das arme Ding war ihm da gerade recht gekommen. Es hatte sich nicht gewehrt, als der Jäger seine Zähne in seinen Nacken gegraben und gespürt hatte, wie gleichzeitig zu dem Leben, das aus dem Jungtier wich, neues Leben in ihn zurückkehrte.
Jetzt lag der Wolf so da, leckte sich den letzten Rest Blut von den Lefzen, dann zog er sich in die Höhle zurück. Er hatte eine Nacht, dann würde der Hirte mit Unterstützung aus dem Dorf kommen und das Lämmchen suchen. Oder den bösen Wolf, der es gefressen hatte. Und er würde ihn töten wollen, aber der Wolf würde dann schon weg sein. Mal wieder. So war das Los seines Lebens. Er konnte überall sein und nirgends bleiben. Denn dort, wo es für ihn keine Nahrung gab, konnte er nicht leben und von dort, wo es sie gab, wurde er verjagt. Vom Hirten einer Schafherde. Vom Jäger im Wald, dessen Reh er gerissen hatte.
Sein Leben war eines auf der Wanderung, aber der Weg, den er ging, hatte kein Ziel. Als Wolf war man verhasst, dabei fraß er nie mehr, als zum Leben nötig war. Natur bedeutete: Fressen und gefressen werden und jedes seiner Opfer hatte seinen Tod bisher akzeptiert. Nur diese Zweibeiner. Sie störten das Gleichgewicht der Natur und wollten nicht wahrhaben, dass auch sie nur Teil einer Nahrungskette waren. Ob das Leben, das die Menschen nahmen, nun pflanzliches oder tierisches war. Sie töteten. Und das nicht immer nur, um die Leichen in ihren Händen dann zu essen. Tiere und Pflanzen wurden Dekoration, Waren, Siegestrophäen.
Aber er war der Böse. Das war das Spiel des Schicksals. Und wie die Nacht so dahin zog, bekam der Wolf kein Auge zu. Seine Entscheidung war gefallen. Und wenn am Morgen der Jäger kommen würde, zusammen mit dem Hirten, und das Blut des Lamms im Schnee vor der Höhle finden würde, dann wäre diese leer.
Die Tage strichen ins Land und bald würden sowohl der Wolf als auch die Frau vergessen sein. Geister in den Gedanken der Menschen, irgendwo in einer Schublade im hintersten Bewusstsein. Wo die Beiden verschwunden waren, hatten sie Glück und Übermut hinterlassen. Es wurden Feste gefeiert und reich gespeist. Man fühlte sich wieder sicher. Und sie lebten in Liebe und Glück bis an ihr Lebensende. Ja, hier endet das Märchen für alle, die die böse Stiefmutter und den bösen Wolf gekannt hatten und es war ein glückliches Ende.
Nur hat ein Märchen niemals nur ein Ende…
Der Wolf und die Stiefmutter zogen eine lange Zeit umher und wie der Zufall die Unglücklichen immer zusammenführt, so ließen sie sich nach einem oder vielleicht auch zwei Jahren im selben Wäldchen nieder. Das Wäldchen lag zwischen zwei verfeindeten Königreichen, die seit Jahren im Krieg standen und schon lange ward vergessen, weshalb man irgendwann einmal begonnen hatte zu kämpfen. Das eine Königreich wurde im Volksmund auch das „Reich der Himmel“ genannt, denn hier herrschten Licht und Freude. Die Menschen lebten in Glück und Zufriedenheit.
Im anderen Reich, dem „Palast der Dunkelheit“, war die Nacht ein Freund der Menschen. Sie waren still, lebten zurückgezogen und wer nicht Teil dieser Menschen war, der würde ihre Lebensweise wohl nie verstehen. Denn für sie war die Magie über alles heilig und sie fürchteten das Licht, denn sie fühlten sich nackt, unter der alles erleuchtenden Kraft. Beide Seiten hielten sich tapfer, keine gab nach und es schien, als würden die Kämpfe so ewig weitergehen. Immer wieder zogen die Truppen gegeneinander, mal auf der einen, mal auf der anderen Seite des Waldes.
Den Wolf und die Frau störte das nicht. Sie waren Ausgestoßene der Gesellschaft und würden in keinem der Reiche aufgenommen werden.
Die Beiden lebten eine lange Zeit für sich alleine. Doch es kam, wie es kommen musste. Der Wald war klein und so war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Stiefmutter und Wolf aufeinandertrafen.
Der Wolf war gerade dabei gewesen, einem Kaninchen in seinem Bau aufzulauern, als die böse Stiefmutter zu eben dieser Zeit Beeren für ein Mittagsmahl pflücken wollte. Als sie den Wolf – einen großen Berg aus Muskeln und Fell - vor dem Bau liegen sah, packte sie die Angst und ihr entwich ein Schrei.
Der Wolf zuckte in seiner Konzentration zusammen und sprang auf. Nun standen sie da, die Augen aufeinander gerichtet.
„Bitte, friss mich nicht!“, flüsterte die Frau und der Wolf fletschte die Zähne und knurrte. Dieser Zweibeiner. Was wollte er denn nun schon wieder von ihm? Müsste er wieder weiterziehen?
Und dann trafen sich ihre Blicke und plötzlich war es, als ob man einen Schleier zwischen ihnen angehoben hätte, durch den man bisher nicht hatte sehen können. Der Wolf und die Stiefmutter erkannten sich selbst im jeweils anderen. Sie waren ausgestoßen. Sie waren verjagt. Sie waren alleine. Sie waren böse.
Es brauchte seine Zeit, bis die Frau sich daran gewöhnt hatte, nicht jedes Mal zusammenzuzucken, wenn der Wolf seine blutige, tote Beute mit in die Höhle schleppte, die nun ihr gemeinsamer Unterschlupf war. Der Gestank war teilweise unerträglich und auch die Angst vor den scharfen Zähnen und großen Pranken des majestätischen Tieres schwand erst nach einer Weile vollkommen. Und auch der Wolf konnte sich mehrere Wochen lang nicht daran gewöhnen, dass die Stiefmutter immer wieder begann zu sprechen, so wie Menschen es taten, und dass sie ihr Fleisch von seiner Beute über dem Feuer anbriet.
Es war nicht so, dass die beiden sich liebten oder auch nur sehr mochten. Aber sie akzeptierten sich und hatten alles, was sie brauchten, und das war mehr, als sie ihr ganzes Leben lang bisher erfahren hatten. Frieden und Sicherheit. Das war es, was in ihr beider Herzen einkehren sollte und doch meinte es das Schicksal wieder einmal anders mit ihnen.
Der Krieg, der zwischen den beiden Königreichen herrschte, hatte einen neuen Höhepunkt erreicht und es kam der Tag, an dem jeder der Könige sein ganzes Heer aufmarschieren ließ. Den Wald noch zwischen sich, trennte die beiden Armeen ein Tagesritt voneinander und es war absehbar, dass dieser Krieg keinen Gewinner hervorbringen würde, denn beide Mächte waren gleich stark. Sie würden sich gegenseitig vernichten.
Von alldem bekamen die böse Stiefmutter und der böse Wolf in ihrem Wald schon bald Kunde. Es war absehbar gewesen, wie es kommen musste, und so hatte der Wolf schon einige Wochen zuvor einen neuen Wald gesucht und gefunden. Und nun hätte also die Zeit sein sollen, wieder einmal ein Leben hinter sich zu lassen und umzuziehen.
Doch es kam anders als geplant. Die Nachricht, dass die bevorstehende Schlacht mehr Opfer kosten würde als bisher jede andere Schlacht, brachte die beiden Ausgestoßenen zum Nachdenken. Menschen waren grausam, dessen waren sie sich sicher. Doch ob man nicht trotzdem irgendetwas tun konnte - irgendetwas tun MUSSTE - um sie von ihrer eigenen Vernichtung abzuhalten?
Und so kam es, dass Wolf und Stiefmutter blieben. Denn sie hatten einen Plan, wie sie verhindern konnten, dass es kam, wie es kommen würde. Und sofort machten sie sich auf den Weg, um die Tiere des Waldes um Hilfe zu befragen, in der Hoffnung, dass diese sie einmal nicht als die Bösen sehen würden…
Als die beiden Armeen aufmarschierten, dämmerte der Abend und die Sonne ließ ihre letzten Strahlen auf einem blutroten Himmel tanzen und nutzte ihn als Leinwand wie eine Künstlerin. Alles war vorbereitet und die Armeen – die des Palastes der Dunkelheit und die des Himmelreichs - rückten gleichzeitig mit gezogenen Schwertern vor in den Wald, bereit jeden Feind zu töten, der sich ihnen in den Weg stellen würde, die Gesichter blutdürstig zu Fratzen verzogen, nach Rache und Tod lechzend. Es ging langsam voran, jeder Soldat erwartete hinter dem nächsten Baum den Feind und den Tod.
Immer wieder zuckte die Menge zusammen, während sie tiefer und tiefer in den Wald vorrückte, wenn ein Ast knackte oder ein Tier über ihren Weg huschte. Und als die beiden Heere nur noch ein paar Baumreihen trennten, da wurde plötzlich alles still. Und dann zerschnitt ein Heulen den Wald und nur wenige Sekunden später huschte eine Gestalt durch den intakten Streifen Grüns zwischen den Menschen. Als die Gestalt stehen blieb, erkannten beide Seiten eine Frau. Wieder ein Heulen und es bewegte sich keiner mehr.
„Ihr Narren!“ Die laute, krächzende Stimme der Frau hallte weit und weiter, bis auch der letzte Soldat unter den Menschen ihre Stimme vernahm. Und dann noch einmal. „Ihr Narren!“
Alle Blicke waren nun auf diese Gestalt gerichtet, die auf so magisch wundersame Weise zwischen den Fronten erschienen war. Die Männer des Palastes der Dunkelheit begannen zu tuscheln. War das Magie? Ein Zeichen für die Kunst, an die sie immer geglaubt hatten? Und auch dem ein oder anderen Himmelssoldaten spukte ein solcher Gedanke durch den Kopf, wurde aber durch ein energisches Kopfschütteln wieder verdrängt. Ein drittes Mal ertönten die Worte der Frau und schienen damit ihre Aussage zu unterstreichen. „Ihr Narren.“ Und nun huschte ein weiterer Schatten durchs Gebüsch, geradewegs auf die Frau zu. Es war ein Wolf, das sah jeder Mann sofort. Der Wolf blieb vor der Frau stehen und noch immer erkannte man nur die Silhouetten der Beiden. Doch das genügte, um zu erkennen, was geschah und was keiner erwartet hatte. Der Wolf knickte eine Pfote ab, die Frau hob ihr Kleid und dann verneigten sie sich voreinander. Dieses Schauspiel war so fremdartig, so abstrus, dass keiner der Soldaten auf den beiden Feldern mehr ans Kämpfen dachte. Mit zu Boden gesenkten Schwertern standen sie da, wie gebannt auf die im Schatten schwarzen Figuren starrend.
Mittlerweile war der Mond aufgegangen und ergoss sein geheimnisvolles Licht über den Wald, die Heere und die Städte und über die Königreiche, zu denen sie gehörten. Ein leichter Wind zog auf und noch immer war es so still, dass man das Laub fallen hören konnte. Dann, leise, fast unhörbar mischte sich das Rauschen des Windes noch mit etwas anderem. Das neue Geräusch schien von überall her und von nirgends zu kommen und es wurde lauter und immer lauter. Ein Trippeln und Trappeln, ein Rauschen und Rascheln, ein Knacken und Trappen, ein Stampfen und Trampeln und Galoppieren. Und dann der Ruf eines Soldaten aus den Reihen der Himmelskrieger: „Die Tiere kommen!“
Und wie sie kamen. Die Großen und Kleinen, Dicken und Dünnen, die Langsamen und die Schnellen. Vom bösen Wolf und der bösen Stiefmutter mit den guten Absichten zusammengetrommelt versammelten sie sich alle auf diesem letzten Grünstreifen, der die beiden Armeen voneinander trennte – so laut kreischend, schreiend und quiekend und brüllend wie sie nur konnten.
Und über allem schwebte das Heulen des Wolfs, der da noch immer mittig zwischen allen stand, direkt neben der Stiefmutter.
Er beobachtete, wie nach und nach die ersten Zweibeiner auf beiden Seiten in Panik gerieten. Rufe erschallten, die sich anhörten wie „Hexerei!“ oder „Spuk!“, aber wirklich verstehen konnte er sie nicht. Im Grunde war das auch nicht von Wichtigkeit, denn das Einzige, was in diesem Moment wichtig war, war die Tatsache, dass die Armeen sich zurückzogen. Alle beide, wieder zurück in ihre Städte. Die einen völlig kopflos fliehend, die anderen verwirrt und irr umherlaufend.
Wer noch nie einen Wolf hatte grinsen sehen, der tat es an diesem Tag. Denn der Wolf grinste, hatten sie – die Bösen und Außenseiter – doch zwei Völker gerettet. Und grinsend zog der böse Wolf sich gemeinsam mit der Stiefmutter wieder in den Wald zurück.
Die Kunde von dieser seltsamen Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer und so war es nicht verwunderlich, dass schon noch ein paar Tagen die ersten Kundschafter ausgeschickt wurden, um den Wald zu inspizieren. Wochenlang wurde jeder Stein umgedreht und jeder Baum bestiegen, aber die Frau und der Wolf waren wie vom Erdboden verschluckt. Sie hatten gewusst, dass sie – nachdem sie sich nun einmal zu erkennen gegeben hatten – hier keine Ruhe mehr finden würden, und so hatten sie eine Entscheidung gefällt. Der Wald blieb still und friedlich zurück.
Die Zeit zog ins Land, in den beiden Königreichen, und die Ereignisse um diese Nacht gingen als die „ungekämpfte Schlacht“ in die Geschichte ein. Fest stand, dass kein Soldat, egal wie mutig und tugendhaft er war, sich mehr mit Waffen in den Wald wagte und so geschah das einzig Richtige: Es wurden neue Könige eingesetzt und die Königreiche schlossen Frieden.
Als Zeichen der Versöhnung traf man sich am Ort der ungekämpften Schlacht – ohne Waffen natürlich – und errichtete ein Denkmal, das man noch heute dort bewundern kann. Es zeigt einen Wolf neben einer älteren Frau und wer das Denkmal betrachtet, der sollte bis in alle Zukunft Dankbarkeit verspüren. Denn der Wolf und die Frau waren Helden, die nicht nur zwei Königreiche gerettet, sondern auch versöhnt hatten.
Und so wurde aus der Geschichte ein Mythos und aus dem Mythos ein Märchen. Das Märchen des Wolfes und der Stiefmutter.
Wohin die Beiden gegangen sind und wo und wie ihr Märchen tatsächlich endete, das weiß niemand und so kann man mit guten Gewissen abschließen:
Wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie vielleicht noch heute.
Ich muss sagen, dass das wirklich mal ein besonderer Anfang ist. Es klingt wundervoll und verlockend zugleich. Schreit stark nach “Lies weiter!” und lässt einem sofort Bilder im Kopf entstehen.
*drängelt sich in den Vordergrund, wird jedoch an der Kapuze von Dawson wieder zurückgezogen*
Ehhh...?!
*räuspert sich und fährt fort*
Der Satz “Zu der Zeit des Tages, an der die Sonne sich zu Bett legt und die Sterne kichernd und blitzend aus ihren Verstecken kriechen und die Welt mit Schatten und Glitzer bedecken”... Klingt einfach so toll, dass ich ihn bestimmt zehnmal gelesen habe. Der Satz passt perfekt!
Woooohohohowww! Das, was Dawson sagt!
*seufzt leise*
Also erst einmal: WAHNSINN! Ich bin unglaublich geflashed! I mean… Schau dir mal Drys und Dawsi an! Die beiden bekommen ihre Augen heute definitiv nicht mehr zu und so wird es mir sowie den Lesern wohl auch ergehen!
Ja, die Einleitung finde ich auch sehr spannend, die macht die Leser echt neugierig! Und die Beschreibung der Nacht hat mir ebenso sehr gefallen. Sie zaubert mir direkt ein wundervolles Bild in den Kopf. Sehr poetisch!
*nickt grinsend*
Die fand ich auch voll toll! Vor allem, weil sie deutlich macht, wie außergewöhnlich das Thema dieses Märchens eigentlich ist!
Wie eine Frau zur Stiefmutter-Figur wird und als “böse” rüberkommt, das ist mal eine interessante Betrachtungsweise. Manches lässt sich eben nicht klar in Schwarz und Weiß einteilen. Aber natürlich haben wir es ja mit einem Kunstmärchen zu tun, das mehr Spielraum lässt als ein Volksmärchen wie bei den Brüdern Grimm. Wir haben in diesem Werk jedoch nicht nur den Hinweis auf die Stiefmutter als “böse Figur”, sondern zusätzlich die Hexe. Die klassisch böse Gesinnung löst sich unter anderem durch die Opferbereitschaft ab. Ein spannender Ansatz.
Auch wie auf die Vorgeschichte - der Grund, weswegen die beiden so sind, wie sie sind - eingegangen wird ist unfassbar fesselnd. Wie sie für Außenstehende wirken und doch im Inneren das komplette Gegenteil fühlen und doch auch nicht anders, als andere sind… Das regt wirklich zum Nachdenken an!
...
*fuchtelt Dawson vors Gesicht herum*
Hallo, noch da?
*ist ganz hin und weg*
Diana schreibt einfach wundervoll...
*nickt*
Ich fand auch schön, das die magische Zahl Drei mehrfach verwendet wurde.
Oh nein… Jetzt geht’s wieder los…
*räuspert sich*
Wusstet ihr eigentlich, dass es einige Redensarten mit dieser Zahl gibt?
Sowas wie... Jemand kann nicht bis Drei zählen, aller guten Dinge sind drei, drei Kreuze schlagen…?
Genau! Und dabei muss ich auch an Schneewittchen denken, wegen der drei Blutstropfen, die in den Schnee fallen. Rot und Weiß ist zudem ein Kontrast, der ein starkes Bild erzeugt. Ebenso wie der Palast der Dunkelheit und der Palast des Himmelreichs, quasi Schatten und Licht einen Gegensatz darstellt.
Das stimmt! Die Kontraste des Märchens kommen wirklich gut zum Vorschein und ich denke, ich bin nicht der Einzige, wenn ich sage, dass man sich das Ganze wirklich bildlich vorstellen kann!
In den Krieg zu ziehen, wenn nicht wenigstens eine Seite einen Vorteil sieht, das ist ja schön dumm. Ich meine, wenn das schon absehbar ist, dass beide Reiche verlieren? Die Seite der Dunkelheit glaubt, so habe ich es verstanden, an Magie, kann diese jedoch nicht einsetzen. Die Stärken des Lichts sind Fröhlichkeit und Zufriedenheit, doch wer ist in Kriegszeiten schon fröhlich und zufrieden?
Also sind beide Mächte im Nachteil.
Absolut. Sowieso bringt kein Krieg der Welt kompletten Frieden und Fröhlichkeit. Denn Kriege werden immer mit Verlust in Verbindung gebracht und so ist es auch. Man hat immer etwas zu verlieren und im Nachhinein wird ein jeder vom Schmerz zerfressen.
Der vielleicht beste Beweis, weshalb Stiefmutter und Wolf - das vermeintlich Böse im Doppelpack - “gut” und nicht “böse” sind, ist wohl der, dass sie sich noch für die Belange Anderer interessieren und versuchen, die Schlacht der beiden Mächte zu verhindern.
Ich glaube, das Desinteresse der Beiden gegenüber Anderen war auch nie wirklich vorhanden! Zumindest habe ich es so empfunden. Im Endeffekt bin ich sogar fest davon überzeugt, dass sie ihr Mitgefühl gegenüber ihrer Gesellschaft sehr deutlich zum Vorschein gebracht haben. Was man ja allein daran sieht, wie sie sich für den Frieden beider Königreiche einsetzten.
Bei dieser Geräuschkulisse der Tiere, als die Stiefmutter und der Wolf den Krieg verhindern, und natürlich beim Auftritt der beiden Hauptfiguren im Wald, da müssen den Soldaten aber gewaltig die Knie geschlottert haben!
Ich hätte das jedenfalls ziemlich gruselig gefunden. Eine hervorragende Inszenierung war das! Und sehr mystisch!
*schlottert mit den Knien, um es mal zu demonstrieren*
So in etwa sahen die bestimmt aus!
*grinst*
Bei Merlins Willen…
*versinkt voller Fremdscham im Boden*
*grinst leicht belustigt*
In etwa vielleicht… Man bekommt auch vom Wolf ein ganz anderes Bild. Wie könnte dieses Tier als Teil der Natur böse sein? Er tötet, um zu überleben. Im Märchen ist er meist gefräßig dargestellt und wirkt verschlagen. In diesem Text nicht. Dafür, dass sich die beiden Hauptfiguren nicht besonders mögen, sorgt der Wolf immerhin dafür, dass die Frau nicht verhungert. Das ist schon ziemlich fürsorglich finde ich.
*wirft sich mal dazwischen und drängt sich in den Vordergrund*
Und wieder haben wir hier ein Anzeichen dafür, dass sie doch Mitgefühl mit ihren Gegenübern haben und nicht ganz und gar herzlos sind!
Ein absolut wundervolles Kunstmärchen, dass mir sehr gut gefallen hat, auch von den Worten her, die sehr großartige innere Bilder entstehen lassen.
*räuspert sich*
Ich kann mich Drys’ Worten nur anschließen und ich denke nicht einmal Dawson hätte das besser wiedergeben können, als Drys gerade! Ich freue mich schon riesig darauf, weitere Märchen von dir zu lesen!
*hat vielleicht verraten, dass es möglicherweise noch mehr solcher Ausgaben geben könnte und hüstelt ganz schnell, um das zu überspielen*
JEDENFA-!
Ein dumpfer Aufprall ertönt.
Jetzt hast du dich wieder völlig verplappert!
Ouch… Tschuldigung...
*reibt sich die Birne*
*patschelt*